Maschinen
Das Wort Maschine wurde schon seit jeher auch von kritischen Theoretiker:innen gebraucht. Karl Marx (1818–1883) und Friedrich Engels (1820–1895) waren frühe Maschinentheoretiker, schon in den frühen Schriften der 1840er-Jahren tauchen Dampfmaschinen, Spinnmaschinen und Maschinerien auf. Die vermutlich höchste Dichte zeigt ihre Untersuchung zum Verhältnis von Maschinerie und große Industrie im dreizehnten Kapitel des ersten Bands vom Das Kapital. Kritik der politischen Ökonomie.1 Maschinen bestehen nach Marx und Engels oft aus drei Teilmaschinen, Maschinenkomponenten. Erstens solche, die die ganze Maschine antreiben und in Bewegung bringen: "die Dampfmaschine, kalorische Maschine, elektromagnetische Maschine"2 Zweitens jene Teile, die Bewegung "regelt", "verwandelt", "verteilt" und auf die Werkzeugmaschine "überträgt". Und drittens schließlich "die Werkzeugmaschine oder eigentliche Arbeitsmaschine", dabei "ist die ganze Maschine nur eine mehr oder minder veränderte mechanische Ausgabe des alten Handwerksinstruments, wie bei dem mechanischen Webstuhl, oder die am Gerüst der Arbeitsmaschine angebrachten tätigen Organe sind alte Bekannte, wie Spindeln bei der Spinnmaschine, Nadeln beim Strumpfwirkerstuhl, Sägeblätter bei der Sägemaschine, Messer bei der Zerhackmaschine usw."3 Dabei herrscht ein ständiger Kampf zwischen Arbeiter:in und Maschine.4 Aus medienwissenschaftlicher Sicht bemerkenswert ist, dass Marx spätestens Ende 1840er-Jahre die Veröffentlichungen von Charles Babbage (1791–1871), Mathematiker, bürgerlicher Ökonom und Vordenker des Computers, vor allem die Monografie On the Economy of Machinery and Manufactures erschienen 1832, kannte. Babbage beschrieb bereits in den 1820er-Jahren Methoden wie maschinelle Prozesse in Form von Zeitdiagrammen notiert werden könnten. Ähnliche Diagramme tauchten in den 1940er-Jahren im Umfeld des ersten von IBM gebauten elektromechanischen Großrechners auf.5
1972, mehr als hundert Jahre nach dem Erscheinen des ersten Bandes von Das Kapital, veröffentlichten Felix Guattari (1930–1992) und Gilles Deleuze (1925–1995) Anti-Ödipus. Kapitalismus und Schizophrenie I. Im Anti-Ödipus tauchen bereits in den ersten Zeilen Maschinen auf. Es sind aber keine industriellen Maschinen mehr, sondern Organmaschinen, Mundmaschinen, Essmaschinen, Sprechmaschinen, pflanzliche Maschinen, Gesellschaftsmaschinen, die alle irgendwie funktionieren. "Maschinen von Maschinen, mit ihren Kupplungen und Schaltungen."6 Diese verrichten, unterbrechen und operieren in kleinen Dimensionen. Nicht mehr in der Fabrik oder im Krieg, sondern im Alltag. In und zwischen Körpern: Überall rumort es! Alle "basteln" mit kleinen Maschinen und so entsteht ein "ununterbrochener Maschinenlärm"7 Dabei verwischt die Unterscheidung zwischen Mensch und Natur. Alles wird als Produktionsprozess umgedeutet. "Produktionen von Produktionen, von Aktionen und Erregungen, Produktionen von Aufzeichnungen, von Distributionen und Zuweisungen, Produktionen von Konsumtionen, von Wollust, Ängsten und Schmerzen. So sehr ist alles Produktion, dass die Aufzeichnung unmittelbar Konsumtion, Verzehr, die Konsumtion unmittelbar Reproduktion wird."8 Die maschinen-antreibende Energien bei Guattari und Deleuze sind jene des Wunsches, des Verlangens, der Begierden und Begehren. Dass alles funktioniert, strömt und arbeitet ist zwar faszinierend, aber darüber hinaus ein großes Problem, denn manchmal funktioniert es zu gut. "In gewisser Weise wäre es besser, nichts liefe, nichts funktionierte."9 Unsere Körper leiden darunter "auf solche Weise organisiert zu werden, keine andere oder überhaupt eine Organisation zu besitzen."10 Manche Maschinen sind zu festgefahren, wuchern auf falsche Art, sind langweilig, wie etwa die Ödipus-Maschine, die zu stark auf dem Model der Kernfamilie: Papa, Mama, Kind basiert. In gewisser Weise ist die kritische Philosophie von Deleuze-Guattari eine Kritik der falschen Maschinen, der kapitalistischen, der patriarchalen, faschistischen etc.
Prinzipiell sind die Maschinen von Deleuze-Guattari nicht weit weg von jenen drei von Marx-Engels (Bewegungs-, Transmissions- und Arbeitsmaschine) mit ein paar Erweiterungen. Erstens sind Bewegungen nun auch Ströme, zweitens kommt zum Konzept der Regelungen und Transmission jenes der Codes11 und Codierung hinzu und drittens werden Produktion und Konsumption nun zusammen gedacht, vielleicht auch weil der Körper zuallererst kein tauschwert- und marktbasiertes System bildet. Das Verdienst des Anti-Ödipus liegt darin, dass es den Begriff der Maschine, der Maschinen und des Maschinellen, von Marx und anderen aufnimmt, gleichzeitig aber auch erweitert, so dass die Mikro-Welt des Molekularen, der Affekte, der Körpersignale, der Vibrationen, Schwingungen und Stimmungen diskutierbar wird. Dabei geht es aber stets um Kapitalismus- und Faschismuskritik!
Aus medienwissenschaftlicher Sicht gilt es zudem zu überlegen wie Maschinen und Medien zueinander stehen. Sind Medien, weil sie Ströme speichern, übertragen und prozessieren Maschinenkomponenten? Worin besteht die Differenz zwischen Maschinen und Medien? Sind Maschinenkomponenten manchmal auch Medienkomponenten und umgekehrt? Was wäre der Vorteil, wenn Medien statt von Maschinen in den Blick rücken? Siehe dazu Medien-Werden.
1975 erscheint Kafka – Für eine kleine Literatur worin die beiden ihre Maschinentheorie mit dem Konzept des Gefüge (Agencement) und des Minoritären/ Kleinen erweitern und den Begriff des Rhizoms einführen, den sie 1980 mit der Veröffentlichung von Tausend Plateaus. Kapitalismus und Schizophrenie II vertiefen werden. Die deutsche Übersetzung erschien erst 1992! In der Zwischenzeit entstehen jedoch einige deutschsprachige Varianten, Ansätze und Strömungen einer aufkommenden Medienwissenschaft und die Frage, die sich stellt wäre: Was passierte zwischen 1972 und 1992? Siehe dazu D&G in D-A-CH.
Während der Anti-Ödipus (1972) vor allem eine Theorie der falschen Maschinengefüge formulierte, rückte Kafka (1975) den Blick auf Gegenmaschinen, die die miesen Maschinen "demontieren"12 und das Potential Gegenmaschinen zu schreiben, zu bauen und zu erleben. Schreiben wurde von Deleuze und Guattari als produzierende Tätigkeit, als maschineller Prozess einerseits der "Transkription", andererseits der "Demontage"13 und als aktive Zersetzung zugespitzt, die nicht mehr als Kritik operiert, sondern stets mitten in der Maschine drin steckt und das Ziel hat "eine in der Gesellschaft bereits vorhandene Bewegung in die Zukunft zu verlängern und zu beschleunigen."14 Gegenmaschinen der Demontage sind als Modelle zu betrachten, die vergangene, negative Entwicklungen nicht nur sicht- und diskutierbar machen (=> transkribieren), sondern diese mitunter verstärken, um die negativen Effekte erfahrbar zu machen. Kafkas Werke wären damit als experimentelle Schreib- und Literaturmaschinen zu betrachten, die die offensichtlichen und versteckten Gesetzen einer Gesellschaft in Bewegung bringen und maschinisieren, um zu schauen, was passieren wird. Häufig vorkommende Komponente dieser Literaturmaschinen sind: Gänge, Wege, Türen, versteckte Architekturen, undurchdringbare Behörden, seltsame Telefonnetzwerke, Boten und Botinnen, animalische Geräusche und Nachrichten. Dadurch entstehen nicht nur einzelne Maschinen, sondern ganze Gefüge diverser Maschinen. Dabei ist eine Maschine "technisch nur in ihrer Eigenschaft als gesellschaftliche Maschine, die Menschen in sich aufsaugt oder, genauer, die ebenso aus Menschen besteht wie aus Dingen, Strukturen, Metallen und Rohstoffen."16
In Tausend Plateaus. Kapitalismus und Schizophrenie II (1980/1992) fängt die Maschinentheorie schließlich an zu wuchern, deshalb nur kurz das wichtigste: "Maschinen sind immer einzigartige Schlüssel, die ein Gefüge oder ein Territorium öffnen oder schließen."15
Zitationsvorschlag: Miyazaki, Shintaro (2024): Eintrag, "Maschinen" in, Catalogue, Katalog. URL: https://init-c.de/catalogue/ ("Abrufdatum").
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Marx, Karl. Das Kapital. Kritik der politischen Ökonomie (Erster Band). Berlin: Dietz, 1969 [1867], hier 391–530. ↩
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Ebd. 393. ↩
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Ebd. 393f. ↩
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Ebd. 451–461. ↩
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Vgl. dazu Miyazaki, Shintaro. Algorhythmisiert. Eine Medienarchäologie digitaler Signale und (un)erhörter Zeiteffekte [Zugl.: Berlin, Humboldt-Univ., Diss., 2012]. Berlin: Kulturverlag Kadmos, 2013, hier 51f. und 163ff. ↩
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Deleuze, Gilles, und Félix Guattari. Anti-Ödipus. Kapitalismus und Schizophrenie I. Frankfurt am Main: Suhrkamp, 1974, hier 7. ↩
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Ebd. ↩
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Ebd. 10. ↩
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Ebd. 14. ↩
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Ebd. ↩
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Ebd. 49. ↩
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Deleuze, Gilles, und Félix Guattari. Kafka. Für eine kleine Literatur. Frankfurt am Main: Suhrkamp, 1976, hier 60 und 83. ↩
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Ebd. 65. ↩
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67. ↩
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Deleuze, Gilles, und Felix Guattari. Tausend Plateaus – Kapitalismus und Schizophrenie. Berlin: Merve, 1992, hier 456. ↩
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112. ↩