Gefüge
Maschinen tanzen in Gefügen. Ein Gefüge ist eine Konstellation, die aus heterogenen Elementen zusammen gefügt wurde. Das Gefüge ist mit dem Konzept des Dispositivs13 verwandt.14 Gefüge bestehen aus Maschinen, Schichten und anderen Dingen. Felix Guattari (1930–1992) und Gilles Deleuze (1925–1995) haben zusammen zwischen 1972 und 1980 theoretische Perspektiven erarbeitet und vorgeschlagen in denen Gefüge eine wichtige Rolle spielten. In Anti-Ödipus. Kapitalismus und Schizophrenie I (1972) sind Gefüge eng mit Maschinen gekoppelt. Es ging darin vor allem um maschinelle Gefüge, das heißt ihre Anordnung, Aufstellung und Vernetzung. Mit Kafka (1975) wurde das Konzept des Gefüges (französisch Agencement) genauer artikuliert. Maschinen bilden Gefüge mit anderen Maschinen und Strömungen (von Aussagen und/oder des Verlangens zum Beispiel). Das Gefüge ist also mehr als nur eine Maschine und deren Komponente, sondern weist sowohl auf die Ressourcen, Materien- und Energieströme hin, die eine Maschine aufnimmt und verarbeitet als auch jene, die diese produziert und ausgibt.1 Gefüge können auch wie Maschinen demontiert werden. In Tausend Plateaus. Kapitalismus und Schizophrenie II (1980/1992) kommen folgende Aspekte hinzu:
"Das Gefüge hat zwei Pole oder Vektoren. Der eine [Pol/ Vektor] ist den Schichten zugewendet, [...], während der andere Vektor der Ebene der Konsistenz oder Destratifizierung zugewendet ist [...]."2 Diese Gefälle, Richtungen und Pole operieren auf der Vertikalen. Die eine Richtung wirkt stabilisierend/ konservierend und die andere destabilisierend/ öffnend. Auf der Horizontalen besteht ein Gefüge einerseits aus eher maschinellen Prozessen, die von Körpern, Dingen, Geräten, Passionen, Strömungen getätigt werden und andererseits aus eher abstrakten Prozessen, die aus Aussagen, symbolischen Handlungen, körperlosen Transformationen, Ideen bestehen. Guattari und Deleuze koppeln diese Prozessbereiche mit den Begriff Inhalt (=Materialien, Körper, Energie) und Ausdruck (Bedeutung, Abstraktion, Information). Diese vier Pole bilden eine Tetravalenz.3
Gefüge können viele Konfigurationen annehmen, sie können Karten oder Kopien, Rhizome oder Bäume/Wurzeln formieren.4 Gefüge sind Erfindungen.11 Es gibt semiotische, materielle und gesellschaftliche Strömungen5 die sich zu Gefügen perversen, künstlerischen, kollektiven, wissenschaftlichen, mystischen, politischen Gefüge zusammenfinden.6 Es gibt Machtgefüge, lebendige Gefüge, molekulare Gefüge. Gefüge vereinigen sich zu Zeichenregimen, die aus semiotischen Maschinen bestehend.7 Innerhalb eines Gefüges gibt es keine Gewichtung. "Ein Gefüge hat weder Basis noch Überbau, weder Tiefenstruktur noch Oberflächenstruktur, sondern es glättet all seine Dimensionen zu ein und derselben Konsistenzebene, auf der die gegenseitigen Voraussetzungen und die wechselseitigen Einschübe ablaufen."8
Eine Maschine ist eine besonders aktive Komponente eines Gefüges. Eine Maschine kann in ein Gefüge eindringen, "das sich gerade deterritorialisiert, um dessen Variationen und Mutationen aufzuzeichnen."9 Ein Gefüge, das sich gerade deterritorialisiert zieht Fluchtlinien. Generell kann ein Gefüge auch Diagramme zeichnen oder Strömungen synthetisieren, wie ein Synthesizer.10
"Als allgemeine Regel gilt, dass eine Maschine sich an ein spezifisches territoriales Gefüge anschließt und es für andere Gefüge öffnet; [...] Und die Maschine kann auch über alle Gefüge hinausgehen, um eine Öffnung zum Kosmos zu produzieren. Oder sie kann umgekehrt, anstatt ein deterritorialisiertes Gefüge für andere Dinge zu öffnen, auch einen Schließungseffekt produzieren, so als ob das Ganze in eine Art schwarzes Loch fallen und dort kreisen würde: das geschieht bei frühzeitiger oder gewaltsamer Deterritorialisierung und wenn die spezifischen, zwischenartlichen und kosmischen Wege blockiert sind;"12
Zitationsvorschlag: Miyazaki, Shintaro (2024): Eintrag, "Gefüge" in, Catalogue, Katalog. URL: https://init-c.de/catalogue/ ("Abrufdatum").
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Vgl. dazu Deleuze, Gilles, und Félix Guattari. Kafka. Für eine kleine Literatur. Frankfurt am Main: Suhrkamp, 1976, hier 112ff. ↩
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Deleuze, Gilles, und Felix Guattari. Tausend Plateaus – Kapitalismus und Schizophrenie. Berlin: Merve, 1992, hier, 200. ↩
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Ebd., 124. ↩
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Ebd., 27. ↩
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Ebd., 38. ↩
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Ebd., 216. ↩
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Ebd., 118. ↩
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Ebd., 126. ↩
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Ebd., 454. ↩
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Ebd., 468. ↩
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Ebd., 562. ↩
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Ebd., 455. ↩
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Foucault, Michel. Dispositive der Macht. Über Sexualität, Wissen und Wahrheit. Berlin: Merve Verlag, 1978, hier 119f. ↩
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Der Unterschied zwischen den beiden wäre, dass die Machtgefälle beim Dispositiv eher uni-direktional und beim Gefüge jedoch potentiell bi-direktional verlaufen. ↩